Robotik hält Einzug in die Intensivmedizin – und das mit beeindruckendem Erfolg. Ein topaktuelles Beispiel, wie High-Tech die Frühmobilisierung von Intensivpatienten ermöglicht und Pflegekräfte sowie Therapeuten auf völlig neuartige Weise entlastet, demonstriert das von dem Münchner Start-up Reactive Robotics entwickelte robotische Assistenzsystem VEMO in der Schön Klinik Bad Aibling Harthausen.

Nicht erst seit Corona und den zahllosen schwerstkranken Long-Covid-Patienten stehen Krankenhäuser und die Intensivpflege im Fokus des allgemeinen Interesses. Mehr und mehr werden die immensen Herausforderungen an das Gesundheitswesen gegenwärtig: zu wenige Intensivbetten, viel zu wenig Personal – diese Fakten verstärken sich stetig. In Zeiten der Pandemie drohten sie zeitweilig gar zu explodieren. 

Dazu kommt der demografische Wandel mit einer alternden Bevölkerung und hoher Lebenserwartung. Im Jahre 2030 – so eine Studie des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) – werden zusätzlich 187.000 Pflegevollkräfte benötigt. In Krankenhäusern sind demnach 63.000 zusätzliche Vollzeit-Pflegekräfte erforderlich.

Ein noch dramatischeres Bild zeichnet der Pflegereport der Bertelsmann Stiftung, der prognostiziert, dass bis 2030 die Zahl der Pflegebedürftigen um 50 Prozent steigen wird. Laut dieser Erhebung fehlen dann fast 500.000 Vollzeitkräfte in der Pflege. Was liegt also näher, als intensiv nach technischer Unterstützung zu forschen, die Ärzte, Pflegekräfte sowie Therapeuten entlastet und zudem die Genesung optimiert?

Die Lösung: ein robotisches Assistenzsystem für Schwerstkranke
Das Ergebnis langjähriger Forschungsarbeiten ist das neu entwickelte VEMO, für die Frühmobilisierung von Schwerstkranken. Es wird von der TQ-Group, einem der deutschlandweit größten Technologiedienstleister in Bayern gefertigt und mit TQ-eigenen Motoren betrieben wird.

VEMO (Very Early Mobilization beziehungsweise Frühmobilisierung) besteht aus einem bis zu 70 Grad vertikalisierbaren Intensivkrankenbett und Robotik, die mit KI-gestützter Software ausgestattet ist.

Die Idee dazu ist, die Mobilisierung der Patienten direkt in deren Intensivbett durchzuführen und einen gefährlichen Transfer des Patienten aus dessen Bett zu vermeiden. Die Patienten verbleiben während der Mobilisierung in den mit Bewegungs- und Sicherungselementen ausgestatteten Spezialbetten – der gefährliche Patiententransfer oder die Umlagerung auf ein separates Therapiegerät sind somit nicht erforderlich.

Das entbindet Pflegekräfte davon, die Patienten zu verlagern und beugt zudem Komplikationen durch eventuell beim Umlagern beeinträchtige Versorgungs- oder Beatmungsschläuche vor. Die Mobilisierung der Schwerstkranken erfolgt direkt in deren Betten durch die bislang einzigartige Kombination von Gangtherapie und Aufrichtung. Zudem erlaubt das System eine frühzeitige Bewegungstherapie.

Bereits seit einigen Monaten sind in der Schön Klinik Bad Aibling Harthausen in Oberbayern zwei VEMO-Systeme im praktischen Einsatz. Die Klinik verfügt über knapp 40 Intensivbetten und über 100 Intensivpflegekräfte.

Dr. Friedemann Müller, Chefarzt an der Klinik, kennt das neuartige Therapieprojekt seit Anbeginn, ist selbst maßgeblich beteiligt an der Entwicklung von VEMO und fungiert quasi als Ankerpunkt zwischen Entwicklung und Klinikeinsatz. Er steht im direkten Austausch mit Dr. Alexander König, dem Gründer und Geschäftsführer von Reactive Robotics und unterstützt aktiv die Weiterentwicklung des Intensivkrankenbettes

Mit Frühmobilisierung dem gefährlichen Muskelabbau entgegenwirken
Eingesetzt wird das System in seiner Klinik für die Mobilisierung von Schwerstkranken und Beatmeten, die durch längeres Liegen sehr schnell und deutliche Anteile ihrer lebenswichtigen Muskelmasse verlieren. Das heißt, es ist äußerst wichtig, solche Patienten möglichst früh wieder aufzurichten und mit Gehbewegungen Muskeln sowie Kreislauf zu trainieren. Das funktioniert mit Intensivpatienten aber nur im Bett.

„Wir hatten und haben seit rund 15 Jahren Vorgänger des aktuellen Mobilisierungsbettes im Einsatz – ein Art Kippbett, allerdings ohne Elemente zu Patientenmobilisierung“, erläutert Dr. Müller. Und hier liegt das Risiko: Bei Schwerstkranken sind Körper beziehungsweise der Kreislauf nicht mehr an das Aufstellen gewohnt, und dies birgt die Gefahr eines Kollapses, sobald der Patient in eine aufrechtere Position verlagert wird.

Anders beim neuen Intensivbett: Hier führt der Patient - ohne eigenes Zutun - im Bett mit Roboterunterstützung die typischen Laufbewegungen durch. Die Beinbewegungen aktivieren dabei die natürliche Muskel- beziehungsweise Venenpumpe, der Rückfluss des Blutes funktioniert ungestört, und die Gefahr eines Kollapses beim Aufstellen des Patienten ist minimiert.

Tatkräftige Unterstützung erfährt Dr. Müller – sowohl beim Mobilisierungseinsatz mit VEMO als auch beim Einweisen der Pflegekräfte ins neue System – durch Christina Nakel. Sie ist stellvertretende Stationsleiterin auf der Intensivstation und inzwischen schon Expertin in Sachen VEMO.

„Für eine Therapie setzen wir circa eine Stunde pro Patient an, wobei der größte Zeitanteil auf das Vorbereiten des Patienten für die Aufrichtung besteht, wie Gurte und Sicherungsvorrichtungen einsetzen, Überwachungselemente für die medizinischen Werte kontrollieren und ähnliches. Das Display an der Robotereinheit, über die alle Aktivitäten gesteuert werden, stellt eine große Hilfe dar“, erläutert Nakel.

Das Bedienelement enthält quasi eine illustrierte Check-Liste, damit keiner der teils lebenswichtigen Griffe, Sicherungsgurte, Polsterungen, Schläuche etc. für die Vorbereitung und Aufstellung des Patienten vergessen wird. Dank der ausführlichen Check-Liste benötigen Pflegekräfte neben der generellen Einweisung durch Christina Nakel lediglich rund fünf begleitete Anwendungen, bis die Abläufe passen.

Die eigentliche Mobilisierung dauert – je nach Gesundheits- und Therapiezustand des Patienten – ca. 20 Minuten. Dabei erlaubt das System zahlreiche Feineinstellungen wie genaue Ausrichtung sowie Be- und Entlastung der Beine, Hüftstellung, Aufstellungswinkel etc. Sämtliche Parameter der Mobilisierung speichert das System und hält sie für weitere Behandlungen abrufbereit zur Verfügung.

Wie reagieren die Pflegekräfte und Therapeuten auf den neuen Roboter-Kollegen?
„Zunächst herrschte große Skepsis, etwa weil die Neuerungen mit Personaleinsparungen verbunden sein könnten – was de facto nicht zutrifft. Inzwischen überwiegen die positiven Erfahrungen und die sofort spürbaren Erleichterungen, etwa wenn das Hochheben und Umlagern von Schwerstkranken entfällt“, so Dr. Müller. „Und umso ausführlicher können sich unsere Mitarbeiter der eigentlichen und sehr zeitaufwändigen Therapie widmen.“

Was die Zweifler ebenfalls überzeugt, ist die schnellere Genesung der Patienten. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass sich durch Frühmobilisierung die Aufenthaltsdauer schwerstbetroffener, beatmeter Patienten auf der Intensivstation um bis zu 25 Prozent reduzieren lässt.

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