Jüngste Vorfälle haben es vor Augen geführt: Im Zuge der globalen Digitalisierungsfortschritte haben Lieferketten-Angriffe neue Dimensionen angenommen und sorgen für eine völlig neue Ausgangslage in der Cybersicherheit. Sie bedeuten für Unternehmen eine unangenehme Erkenntnis: Das schwächste Glied in der Kette befindet sich oft außerhalb ihrer Sicherheitsstruktur und damit abseits ihrer Kontrolle.

Ein Beitrag von Eugenio Carlon, Managing Director, RADAR Cyber Security

Statt das ins Visier genommene Unternehmen direkt anzugreifen, nehmen Cyberkriminelle deren Software-Distributoren ins Visier. Sie identifizieren Betreiber mit unzureichenden Sicherheitspraktiken, um dort bösartige Codes in eine vertrauenswürdige Software-Komponente einzuschleusen. Beim nächsten Update sind sie am Ziel angelangt: im Netzwerk des Großunternehmens.

Was macht Lieferketten-Angriffe 2023 so brisant?
Durch die Kompromittierung eines einzelnen Lieferanten können Angreifer jede verkaufte Anwendung oder jedes Software-Update in trojanische Pferde verwandeln. Ein großer Service-Anbieter kann somit unwissentlich mit einer einzigen Aktualisierung Tausende Unternehmen infizieren. Durch diese hohe Effizienz haben Supply-Chain-Attacken bei Cyberkriminellen enorm an Popularität gewonnen.

Die Bedrohung durch Lieferketten-Angriffe stellt heute ein erhebliches Risiko für moderne Unternehmen dar und die finanziellen Schäden können enorm sein – vom Produktionsausfall über den Aufwand für die Untersuchung des Sicherheitsvorfalls, Verluste aufgrund von Reputationsschäden bis hin zu behördlichen Geldstrafen.

Eines der verheerendsten Beispiele ist der Lieferketten-Angriff auf das Softwareunternehmen SolarWinds im Jahr 2020, der eine Vielzahl an Organisationen betraf, einschließlich der US-Regierung. Da das angebotene IT Monitoring-System breite Anwendung findet und zudem noch einen privilegierten Zugriff auf IT-Systeme genießt, um Protokoll- und Systemleistungsdaten zu erhalten, machte dies SolarWinds zu einem attraktiven Ziel für Angreifer.

Ein weiterer schwerwiegender Fall war der Lieferketten-Angriff auf den IT-Dienstleister Kaseya im Juli 2021, bei dem schließlich Ransomware über ein manipuliertes Software-Update ausgespielt wurde und weltweit etwa 1.500 Firmen betraf. Zu den bekanntesten Opfern in Europa zählte etwa die Supermarktkette Coop-Schweden, welche 800 ihrer Läden vorübergehend schließen musste, weil ein Zahlungsdienstleister für deren Kassensysteme ausfiel.

Wie verletzlich die Lieferkette heutiger Industrieunternehmen ist, demonstrierte zudem jüngst der Cyberangriff auf die Supply Chain von Toyota im März 2022, bei dem ein Drittel der weltweiten Produktion des Unternehmens lahmgelegt wurde. So musste der japanische Automobilhersteller den Betrieb aller 28 Produktionslinien in seinen 14 inländischen Werken unterbrechen, nachdem ein wichtiger Zulieferer von einem IT-Systemausfall durch einen Cyberangriff betroffen war.

Zero Trust: Über den Tellerrand hinausblicken
Die Angriffe auf die Software-Lieferkette werden zwar immer raffinierter, sie können jedoch eingedämmt werden. Der Verzicht auf Updates kommt nicht in Frage, aber Unternehmen müssen sich bewusst machen, dass selbst die vertrauenswürdigsten Lieferanten nicht vor Einbrüchen und Verstößen gefeit sind. Deshalb müssen Sicherheitsverantwortliche über traditionelle Risikobewertungen von Anbietern hinausgehen.

Selbst gegenüber Standardsoftware großer Hersteller gilt das Prinzip „Null Vertrauen“ (Zero Trust). Jede Applikation auf jedem Endgerät muss kontinuierlich überwacht werden, und zwar sowohl auf Endpoint-Ebene als auch auf Netzwerk-Ebene. Nur dann fällt auf, wenn eine Anwendung das gewohnte Verhalten ändert und zum Beispiel Zugriff auf andere Applikationen sucht, Daten über die Netzwerksgrenze verschickt oder Dateien von bislang unbekannten Quellen nachlädt.

Um ein Zero-Trust-Modell durchzusetzen, sollten Unternehmen auf die adäquate Vergabe und Verwaltung von Zugriffsrechten achten. In vielen Unternehmen verfügen Mitarbeiter, Partner und Softwareanwendungen über unnötig hohe Berechtigungen, welche die Durchführung von Angriffen auf die Lieferkette erleichtern.

Deshalb sollte hier nach dem Least-Privilege-Prinzip vorgegangen werden, bei dem Mitarbeitern und Softwareprogrammen nur die Berechtigungen zugewiesen werden, die sie wirklich benötigen, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Es gibt keinen Freibrief mehr: Jeder Zugriff auf weitere Ressourcen wird geprüft.

Bewährte Maßnahmen zur Zugriffskontrolle sind beispielsweise Multi-Faktor-Authentifizierung (MFA) sowie die Netzwerksegmentierung. Dadurch wird verhindert, dass Software von Drittanbietern ungehinderten Zugang zu jedem Winkel des Netzwerks haben, baut Schutzwälle gegen Angriffe auf und dämmt so den Erfolg von Angriffen ein. Falls ein Angriff auf die Lieferkette einen Teil des Netzwerks beeinträchtigt, bleibt der Rest dennoch geschützt.

Um Compliance und Prozesse ihrer genutzten Software-Anbieter zu bewerten, sollten Unternehmen zudem regelmäßig Sicherheitsfragebögen versenden. Es geht darum sicher zu stellen, dass sie Best Practices einhalten, um jegliche Manipulation des Codes zu verhindern.

Unternehmen haben nur beschränkte Mittel, sich gegen ein manipuliertes Update von legitimer Software zu wehren. Mit einem Zero-Trust-Ansatz und enger Kontrolle durch Security-Analysten in Form von Cyber Defense Center-Dienstleistungen (CDC-as-a-Service) oder CDC-Technologielösungen wie Radar Solutions fällt eine Attacke schnell auf und die Folgen des Angriffs werden lokal begrenzt. Wohl gemerkt: Cybercrime ist nur so lukrativ und erfolgreich, soweit man es zulässt.

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