Wurde KI bisher vor allem für Prognosen und Mustererkennungen eingesetzt, geht Agentic AI noch einen Schritt weiter: Die Technologie verknüpft Daten mit Handlungslogik, simuliert Szenarien, wägt Konsequenzen ab und stößt innerhalb definierter Grenzen eigenständig Prozesse an. So wird KI im Supply-Chain-Management vom Analysewerkzeug zum aktiven Mitentscheider.
Von Karsten Rose, Regional Vice President DACH bei Kinaxis.
Es ist Montagmorgen und das Planungsteam erfährt, dass ein Zulieferer aus Asien seine Lieferung nicht rechtzeitig durchführen kann. Früher hätte dies hektische Telefonate, zahlreiche E-Mails und stundenlange Excel-Simulationen bedeutet. Heute genügt eine kurze Frage in natürlicher Sprache: „Welche Optionen haben wir?”
Sekunden später liefert die Plattform alternative Lieferanten, verfügbare Bestände, mögliche Umleitungen in der Logistik und die Auswirkungen auf die Produktion inklusive konkreter Handlungsempfehlungen, die direkt umgesetzt werden können. Dieses Szenario zeigt, worin sich Agentic AI von klassischen KI-Anwendungen unterscheidet: Sie analysiert nicht nur, sondern gestaltet die Lieferkette aktiv mit.
Was Agentic AI auszeichnet
Ein zentraler Erfolgsfaktor von Agentic AI ist die technische Basis, denn viele Lieferketten bestehen aus isolierten Systemen wie ERP-, Lagerverwaltungs- oder Transportmanagementsystemen. Kinaxis’ Plattform Maestro™ überwindet diese Komplexität mit konfigurierbaren KI-Agenten für Bedarfsprognosen, Szenario-Simulationen oder Bestandsüberwachung.
Grundlage ist eine konsolidierte Data-Fabric-Struktur, die strukturierte und unstrukturierte Daten zusammenführt und den Agenten Echtzeitentscheidungen ermöglicht. Sie wurde mit Databricks entwickelt.
Entflechtung und Beschleunigung
Der Nutzen geht über die reine Automatisierung hinaus. Viele Unternehmen leiden unter einer fragmentierten IT-Landschaft, in der jede Abteilung eigene Optimierungen durchführt. Dadurch wird die Planung träge und reaktiv. Mit einer integrierten Plattform lassen sich diese Silos aufbrechen. Anstatt sequenziell Schritt für Schritt zu planen, können Agenten Entscheidungen funktionsübergreifend orchestrieren.
Laut einer Umfrage waren 2023 rund 97 Prozent der Unternehmen in der DACH-Region von Lieferkettenstörungen betroffen. KI stärkt die Resilienz, indem sie präzise Bedarfsprognosen erstellt und funktionsübergreifende Prozesse ermöglicht.
Das bedeutet: Die Beschaffung weiß sofort, welche Auswirkungen ein Lieferengpass auf die Produktion hat, und die Logistik kann zeitgleich alternative Transportwege einplanen. Die Planung wird so nicht nur schneller, sondern auch resilienter.
Mensch und Maschine im Zusammenspiel
So leistungsfähig Agentic AI auch ist: Die Idee einer völlig autonomen, „fahrerlosen“ Lieferkette bleibt eine Illusion. Zwar kann KI Szenarien berechnen und Empfehlungen abgeben, doch um zu entscheiden, ob ein Lieferantenwechsel politisch sinnvoll ist, welche Konsequenzen eine Verlagerung auf Nachhaltigkeitsziele hat oder wie Beziehungen zu Partnern gestaltet werden, ist weiterhin menschliches Urteilsvermögen erforderlich.
Dadurch verändert sich die Rolle der Planerinnen und Planer grundlegend. Routineaufgaben werden immer weniger. Stattdessen rücken Tätigkeiten in den Vordergrund, die strategisches Denken und Erfahrung erfordern. Sie ordnen Risiken ein, entwickeln Resilienzstrategien und gestalten Partnerschaften.
Vom Reagieren zum Orchestrieren
Der größte Paradigmenwechsel besteht in der Verschiebung von reaktiver Krisenbewältigung hin zu proaktiver Orchestrierung. Während Unternehmen in der Vergangenheit vor allem auf Störungen reagierten, erkennen digitale Co-Worker heute Risiken frühzeitig, spielen Szenarien durch und ermöglichen schnelles Handeln.
Planerinnen und Planer werden dadurch nicht ersetzt, sondern in ihrer Rolle als Orchestratoren gestärkt. Sie steuern die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine. KI-Agenten liefern Geschwindigkeit, Skalierbarkeit und Präzision, während Menschen Kreativität, Empathie und strategische Weitsicht einbringen.
Unternehmen, die digitale Technologien pragmatisch einsetzen und schnell Ergebnisse erzielen, verbessern nicht nur ihre Effizienz, sondern auch die Resilienz der Lieferkette – ein Trend, den die Studie von KLU und SAP klar bestätigt.
Agentic AI als Hebel für Effizienz und Resilienz
Der Hype um Agentic AI ist groß. Entscheidend ist jedoch, den praktischen Nutzen im Unternehmensalltag sichtbar zu machen. Richtig eingesetzt können KI-Agenten Lieferketten transparenter, schneller und widerstandsfähiger machen und die Arbeit von Planern aufwerten.
Statt im Krisenmodus Excel-Tabellen zu jonglieren, orchestrieren sie künftig ein intelligentes Zusammenspiel aus Menschen und digitalen Agenten. Dies ist keine ferne Zukunftsvision, sondern schon heute Realität – ein echter Fortschritt für eine Disziplin, die lange zwischen Routine und Krisenmanagement gefangen war.